"variart", christian korte

“variart”
einführung von rechtsanwalt christian korte m.a., hannover
sie haben es an sich gut mit uns gemeint, die beiden künstler torsten paul und franz betz. wir erinnern uns: lateinisch “varius, varia, varium“ verschiedenartig, mannigfaltig, bunt sowie “ars, artis“, die kunst, die fertigkeit… kurzum, es werden offenbar präsentiert verschiedene facetten künstlerischen schaffens’. wunderbar.
meine damen und herren, jetzt befinden wir hier nicht an einem beliebigen ort, sondern in einer rechtsanwaltskanzlei, ich sehe mich daher zunächst einmal bewogen, sie mitzunehmen auf einen geistigen abweg – nämlich hin zum themenfeld des rechts und der kunst und der bewertung der letzteren durch erstgenanntes…. mithin zu der frage: ist das hier alles wirklich kunst? (“freilich“ rufen wir innerlich!!!) und dann: hat diese unsere einschätzung bestand vor dem recht?
kunst – so tönen künstler wie kulturschaffende allenthalben – ist frei, folgt allein ihren eigenen gesetzen und entzieht sich aus der natur der sache allen versuchen, sie durch eine objektive definition einzugrenzen.
juristen und kunst
zweifelsohne – dies ist durchaus fein erdacht, aber für juristen schlichtweg ein nicht denkbarer, ja gerade zu grotesker ansatz. juristen denken in klaren begriffen, sie wollen, nein, sie müssen ja – dies ist, ich formuliere vielleicht mal etwas forscher, geradezu ihre originäre bestimmung – sie müssen täglich soziale wirklichkeit durch rechtsbegriffe ordnen, um her dann regelnd eingreifen zu können, ja vor allem – um insbesondere die subjektiven rechte der einzelnen schützen zu können. es handelt sich bei der begriffsbestimmung in vorgenannten sinne mithin um so etwas wie eine rechtsstaatliche mission’, die es durch die juristen zu erfüllen gilt.
doch kaum begonnen zu denken, gleich wieder ernüchterung: soll kunst nun ebenso begrifflich wie wahrhaftig gefasst werden, wird man schnell feststellen, dass sich dies alles andere als einfach gestaltet. der zu findende kunstbegriff darf nämlich nicht traditionell fixiert erscheinen und muss geradezu offen sein für neue kunstformen, letzteres darf aber nicht zu einer kontur abholden definition führen, da eine arbeit mit inhaltsleeren begrifflichkeiten nicht möglich ist, mit solchen keine gesetze formuliert werden können und vor allem kein schriftsatz oder gar urteil begründet werden kann. und dann noch das historische erbe der ebenso unsäglichen wie vorgeblichen ns-kunst-klassifizierung. das scheint alles doch sehr unübersichtlich und im detail überaus schwierig.
verehrte zuhörer, – der jurist hat – sie ahnen es – freilich auch für diese missliche, sprachverwickelte situation einen passablen lösungsansatz parat:
rechtsgelehrt erklärt er nämlich “kunst“ schlicht zum so genannten relativen rechtsbegriff, der –so der kern dieses instrumentes – je nach regelungszusammenhang einen unterschiedlichen inhalt haben kann. und das ist nun aber wirklich toll. unterschiedlicher inhalt je nach situation.
was ist kunst?
was also ist heute kunst im rechtssinne? rührte das reichsgericht noch in einer gemengelage aus “ein werk der kunst ist etwas mit darstellungsmitteln der kunst hervorgebrachtes“ und dem wenig fassbaren “ästhetischen gehalt“ eines werkes, hat nunmehr vor einigen jahren der bundesgerichtshof in seiner weisheit entwickelt den begriff der so genannten “künstlerischen gestaltungshöhe“. ohne zweifel, auch dies ein schöner begriff! aber irgendwie nicht minder unbestimmt, schließt sich auch hieran unweigerlich die frage, ab welcher stufe denn dann nun ein gegenstand künstlerisch gestaltet ist oder als solches gilt?
und jetzt wird es wirklich spannend. achtung, wer hätte das gedacht: bei der beantwortung vorgenannter frage, stellt der bgh allein ab auf die “für kunst empfänglichen und mit kunstanschauungen einigermaßen vertrauten kreise“, und damit auf die gesellschaftliche geltung von kunst.
meine damen und herren, das ist doch jetzt wohl wirklich eine überraschung: wir alle, also wir für kunst empfänglichen und sicher mit kunstanschauungen einigermaßen – was immer das nun wieder heißen mag – vertraute menschen bestimmen damit nicht nur für heute abend darüber, ob das hier gezeigte wahrhaft kunst ist. d.h. die frage, wenn wir ganz ehrlich sind, die frage zu stellen, erübrigt sich zu diesem zeitpunkt schon fast, denn ich denke, keiner von ihnen hat sich hierher auf den weg gemacht, um etwas minderes als kunst zu erleben. also lassen wir das recht und genießen wir die kunst:
und hier wird uns nun wirklich einiges geboten: torsten paul und franz betz: ein schrift- und plakatmaler auf der einen, ein architekt und designer auf der anderen seite – schaut man zu den beruflichen startpositionen. zwei bildende künstler mit hochschulvergangenheit, ein bildhauer und maler, ein skulpturist und konzeptionist. und im zentrum ihres wirkens: der mensch. der mensch, wie er ist und der mensch, was er schafft.
franz betz.
der grenzgänger zwischen technizität, material und form.
der künstler dan flavin hat es gezeigt, seit er 1963 – dem geburtsjahr betz’s – die erste lichtarbeit, bestehend aus einer einzigen industriell gefertigten leuchtstoffröhre, präsentierte, die minimalistische wirkung auch noch so farbiger und in reihe gesetzter leuchtstoffröhren. franz betz, setzt dort jahre später an und sich zugleich hinweg über die industrielle normform der einfachen röhre, nutzt die individuelle biegbarkeit des materials zur bewussten verknüpfung mit dem produkt seines typographischen gestaltens, nämlich mit der von ihm entwickelten schrift, den “lines“, hier kurz zum skulpturen-alphabet, ohne verleugnung freilich der industriellen herkunft jeden werkstücks, offen sichtbar konsequent befestigung und technische details. und so sorgte er für furore nicht zuletzt auf der luminale frankfurt 2006, anlässlich derer er das holiday inn hotel frankfurt city south “night –light – night“ illuminierte. franz betz also, der künstler, der uns alle beim eintritt fast schon magisch zu “vips“ werden ließ. und nicht wahr, gleich fühlten wir uns noch geschmeichelter als schon durch die einladung zu dieser eröffnung allein…
leben und werk
es begann aber auch schon viel versprechend, damals durch die geburt in sigmaringen an der donau. noch deutlich vor dem architekturdiplom, welches er im jahre 1991 erlangte, steht die gründung von franzbetzdesign, vor nunmehr 20 jahren, ehrerbietung und beste wünsche auch von dieser stelle für das heuer zu begehende jubeljahr.
als architekt hat er das gestalten von der pike auf gelernt, ein gespür für materialien, proportionen und wirkungen entwickelt, für witterung und konservierung, den blick geschärft für licht- und farbeffekte, für altes und neues. das “häusle-” bauen als solches war das seine auf dauer nicht. der umgang mit elektronischen datenverarbeitungssystemen hingegen schon eher, und dies bereits zu einer zeit des noch lange nicht allgegenwärtigen rechnens unserer tage.
so entwickelte er 1987 “das mensch“, eine cad-gliederpuppe zur proportionslehre, 1989 dann “lichtkunst kunstlicht“, eine computeranimation zum symbolwert von eben diesem kunstlicht, in den jahren hernach folgten diverse multimediaprojekte, 3d-visualisierungen, für webanwendungen wie printprodukte. fixierung auf ein material – das kann ihm nicht nun wahrlich nicht nachgesagt werden, ihm, dem experimentellen, doch kommt dem holz stets eine besondere stellung zu: seine diplomarbeit widmete er einem holzprodukt, der wellpappe, und wiederum bleibt er nicht auf halber strecke stehen, nein, um dieses material und seine arbeit herum entwickelt er flugs seine weitere firma “well – ausstellungssysteme“, freilich auch noch heute erfolgreich am markt.
holz, licht, metall, typographie, farbe und wieder holz – franz betz, der kombinierer.
red shoes und grüngras.  die fagus werke in alfeld. das von walter gropius und adolf meyer ab 1911 errichtete werk in alfeld an der leine gilt als ursprungsbau der moderne. den architekten gelang es, einem mittelständischen betrieb ein völlig ungewohntes, vom traditionellen abweichendes erscheinungsbild zu geben.
aus einer sponsorstellung für einen von franz betz für die messe ag entwickelten kunstleitfaden “lines to go“ zur ligna 2005, kommt es zu einem besuch von betz bei der fagus-grecon greten gmbh & co. kg in alfeld, er schaut sich auf dem gelände um, sein blick bleibt hängen an hölzernen schuhrohlingen, er erfasst fast schlafwandlerisch anmutend die technischen möglichkeiten vorhandener schuhleistenfräsen und die innewohnenden chancen des kopierens einer kleinen holzplastik, eines ausgangmodells durch eben diese fräsen, wem bitte von uns – ohne jemandem nahe treten zu wollen – wäre dies ebenso geglückt? das ergebnis: red shoes, figuren, gestalten von ursprünglicher kraft. dem rohling entwachsen, aber auch keine fertige schuhleiste, eher in greifbarer gedanklicher nähe der weibliche torso? indifferent. unterstützt in seiner wirkung durch die rote farbe, eigenwillig, wundersam passend an diesen objekten. grüngras hingegen als hommage an “entscheidende momente im rasensport“. franz betz, der freizeitkicker, als spurensucher: “kann die erinnerung an entscheidende momente eines spieles auf einen punkt kumuliert werden? nicht der in die allgemeine erinnerung überführte, der gesellschaftskonformen, sondern der ganz individuell erlebten, der singuläre erinnerung wird hier raum gegeben, manifestiert in den keilzinken linear, geordneten strukturen, allein gebrochen durch das zu erinnernde ereignis, mittels grober hiebe eindrucksvoll spuren hinterlassend. gefasst in filz, dem groben, strapazierfähigen material, dass sich ebenso für zelte wie für kleidung eignet, daher gerne nomadischen kulturen zugeordnet wird, vage wohl mit aufgreifend zugleich damit die immanente örtliche ungebundenheit wie den durch beuys verliehenen legendenstatus des filz in der kunst.
büsten und köpfe
im büro des hausherrn wohl positioniert die “büsten“. wer hat nicht gleich bei diesem wort ebenso klassisch-museale wie ausdruckslos-kalte werkstücke vor dem inneren auge, franz betz setzt seine “köpfe“ diesen machwerken bewusst entgegen und baut hier vor allem auf das besondere holz der robine, ein neophyt in unseren breiten. nach europa wurde dieser baum zwischen 1623 und 1635 durch jean robin von virginia nach paris eingeführt, wo unweit der notre-dame zwei von robin gepflanzte exemplare als älteste bäume der stadt angesehen werden. das gegen holzfäule widerstandsfähige holz ist gleichzeitig biegsam und fest und wird im schiffs- und möbelbau, als grubenholz, als schwellenholz, sowie im bogenbau verwendet. es gilt als widerstandsfähiger und dauerhafter als eichenholz. franz betz skizziert grob die gewünschten profile und gibt dann das material dem lauf des lebens zurück, im freien aufgestellt, regen und sonnenlicht ungeschützt ausgesetzt, verliert das holz zunächst an farbkraft und ansehnlichkeit, um dann nach einem prozess der reifung, der adoleszenz, des erwachsenwerdens wieder zu anmut und würde zu gelangen, dem eigenen, endlichen lebenszyklus nicht unähnlich – ein prozess, den es auszuhalten gilt als kunstkäufer wie betrachter – wenn man denn dem ganzen nicht einfach durch konservierung umgeht, was zumindest für die kunst möglich scheint.
franz betz geht es nicht um dekoration. in seinen arbeiten, so unterschiedlich sie auf den ersten blick auch wirken mögen, steckt stets ein gesellschaftsbezogener anspruch, manifestiert in struktur, in form und gestalt, in material und bearbeitung, in oberflächen und texturen.
images rupestres
“was ist der kern, was treibt uns an?“ leitfragen, die uns führen, hin etwa zu den “images ruprestes“, den modernen höhlenzeichnungen, die es zu entdecken und dechiffrieren es gilt. franz betz, der moderne höhlenmaler: aluminiumverbundplatten, die (eigen entwickelten) schriftzeichen maschinell nach den vorgaben einer digitalen schablone eingeritzt, und weiter dann bearbeitet von hand. setzend auf materialien der vorfahren auf kohle und blut, experimentierend, dann schnell schwarz wegen mangelnder “lichtspielqualität“ ausschließend, setzt betz nunmehr allein auf rote acrylfarbe. vollendet wird jedes werk letztlich durch grobes schleifen, “um der fläche ein gesicht zu geben“.
die schriftzeichen selbst beruhen auch hier wieder auf den “lines“, jenen skizzenhaften buchstabencode, den franz betz bereits 1999 mit spontanem schwung – wie er es selbst beschreibt – entworfen hatte, um die formen des alphabetz von „a“ bis „z“ neu zu erfinden. zuletzt hatte der künstler die „lines“ – wie schon erwähnt in seinen lichtskulpturen aufgegriffen, sie aber in den ersten werkserien c, k ,r bereits ende der 90er jahre des letzten jahrhunderts durchgespielt, in holzstelen, aber auch in metall, in aluminium und bronze.
die vorfahren als leitbilder: “feuer zuenden“, “mammut erlegen“, “beeren sammeln“, was treibt ihn an, den modernen menschen? was ist das existenzielle unserer tage? das ultimative schnäppchen? die villa am meer? der wochenendausflug zu den azoren? eine anstellung auf lebenszeit? jammern allenthalben auf höchstem niveau. kunst als anregendes. als aufregendes. als erdendes im vorliegenden sinne ganz sicher auch.
[…]
für ihre aufmerksamkeit besten dank.
einführung von rechtsanwalt christian korte m.a., hannover



ausstellung von torsten paul und franz betz. 13. april bis 8. juni 2007. kanzlei brust. hannover. ausstellungseröffnung: 13. april 2007, 18 uhr.