Varanasi / Benares, Kunstprojekt in der Stadt am Ganges

Foto: Antshi von Moos

Varanasi / Benares
Kunstprojekt „Swarm of signs“ in der Stadt am Ganges

Kulturschock – Fehlanzeige, ein bisschen enttäuscht bin ich schon, als ich aus dem klimatisierten Flughafengebäude zum ersten Mal über die Straßen von Varanasi fahre. Zu fremd, zu anders, als dass ich Vergleiche mit Europa ziehen kann. Ich nehme nur Eindrücke auf, etwas, was ich aus meiner künstlerischen Arbeit als Bildhauer kenne, reine Wahrnehmung, Bilder aufsaugen wie ein Schwamm, keine Analyse oder Bewertung. Eine Einstellung, die ich für meinen einmonatigen Aufenthalt in Varanasi bewahren kann.
Und doch ist mir vieles vertraut, wie Erinnerungen aus vergangenen Tagen, Gesichter, das Leben am Fluss, die Farben. Stammen diese aus Bilderbüchern vielleicht; Dokumentationen später oder doch ein früheres Leben hier?
Neu ist allerdings der Geräuschpegel. In meinem Atelier in Hannover, neben einer Brückengroßbaustelle, bin ich seit 3 Jahren endlosem Lärm ausgesetzt, plötzlich und unvorbereitet. Eine große psychische Belastung für mich – und dann Indien. Eine Kakofonie aus Geräuschen, Signalen der Bewegung, dauerhaft, nachts kaum abschwellend. Und dennoch fehlt diesem Lärm die Aggression, ist er ein Ausdruck von Menschen, Bewegung und Leben und als solcher komischerweise erträglicher für mich.
Foto: Antshi von Moos

Nach zwei Wochen des Ankommens, Planens und Helfens in der Kriti Residency starte ich das Projekt „Swarm of signs“. Inspiriert durch das Analphabetentum, die gerade stattfindenden Wahlen und die Einsicht der Unmöglichkeit, sich in ein paar Wochen dem Sanskrit zu nähern, finde ich im Fingerabdruck ein zentrales Element individuellen Ausdrucks.
Zunächst ist es mein Daumenabdruck auf runden Aufklebern in Neon-Orange, den ich auf Laternenmasten, Mauern, Rikschas klebe. Aufkleber, die ehrfurchtsvoll entgegengenommen werden, ungläubig, dass ich meinen Daumenabdruck einfach über alle Standesunterschiede hinweg hergebe. Bald entsteht der Wunsch, den eigenen Daumen auf die Aufkleber zu bringen. Zum Glück habe ich das Stempelkissen dabei und es entstehen schnell dynamische Gruppen und interessierte Zuschauer. Die Schweizer Medienkünstlerin Antshi vom Moos, die mich fotografisch begleitet, kann dies oft gar nicht so schnell im Bild festhalten.
Foto: Antshi von Moos

So entstehen über die Tage in der Stadt und am Ganges individuelle Markierungen eines ganz eigenen Navigationssystems der Kritigallery. Menschen kennzeichnen sich, ihre Umgebung und werden Teil der vielen orange-farbenen Punkte und vernetzen sich auf eine ganz neue Art und Weise.
Das Projekt samt Aufklebern und Stempelkissen verbleibt als Geschenk und Idee in Varanasi und soll von Künstlerkollegen und –innen, die dort leben und ankommen, weitergenutzt und künstlerisch weiterentwickelt werden.
Jugaad, mit diesem Wort für die indische Improvisationskunst komme ich aus Hannover an. Ein Wort, welches mir Wolfgang Hoeltgen vom German Indian Round Table mit auf den Weg gibt. Oft erinnert mich dieser Erfindungsreichtum, mit dem eben Griffbereiten, Verfügbaren an meine künstlerische Arbeit mit Rauminstallationen. Ich entdecke in der Idee des Machbaren und nicht des Möglichen ein Stück der Zerrissenheit, welche uns Europäer es manchmal so schwer macht, die indische Lebensweise zu verstehen.
Einen Tag vor meiner Abreise werde ich in einem kleinen Maschinenbauunternehmen, in welchem Elektromotoren wieder instand gesetzt werden, zum Tee eingeladen. Schnell ist die Werkbank frei geräumt und mit einer Zeitung bedeckt, Stühle gibt es nicht. Wir reden über meine Eindrücke, das Leben in Indien und in Europa. Der Geschäftsführer erklärt mir den Unterschied zwischen Chinesen und Indern. Die Chinesen könnten Maschinen bedienen, hätten aber keinerlei Ideen und würden nur kopieren. Die Inder dagegen hätten eine sehr lange handwerkliche Tradition und können gut im Rahmen des Machbaren improvisieren. Jugaad eben.
Zum Abschluss schenke ich ihm einen Daumenabdruck, welchen er auf seine Drehbank klebt, einen zweiten für die Bohrmaschine, an der sein Vater arbeitet. Wochen später berichtet eine französische Künstlerin von einer Einladung zum Tee und einem Gespräch über Kunst und Indien, nachdem sie die Aufkleber länger betrachtet hat. Mit diesen beiden Aufklebern bei den Maschinenbauern endet vorläufig mein Beitrag zum Projekt „Swarm of signs“ in Indien. Ein Geschäftsfreund nimmt mich auf seinem Motorrad mit Richtung Ganges, es ist Zeit, Abschied zu nehmen.
Franz Betz, Hannover 20.9.12